Achtsam erwachen in die Welt der Formen
«Achtsamkeit und achtsam sein sind essentiell dafür, nicht auf Vorstellungen sondern auf die Realität zu reagieren.»
Vorgestern hörte ich einen spannenden Beitrag zum Thema Virtual Reality im Radio. Kernaussage war, dass das Gehirn Reize in der Realität ständig dazu nutzt, Hypothesen darüber aufzustellen, was gleich (also in der Zukunft) passieren wird.
Welche der aufgestellten Hypothesen es am Ende “glaubt”, hängt von persönlichen Erfahrungen in der Vergangenheit ab, und von den im Gehirn gespeicherten Informationen über die äußere Situation, in der man sich grade befindet.
Ein Beispiel: Ich liege im Bett mit meiner Liebsten und spüre ihren warmen Atem in meinem Nacken. Der Atem ist der Reiz in der Realität. Das Gehirn zieht jetzt zuerst die äußere Situation ins Kalkül, es weiß, dass ich im Bett liege und nur meine Liebste mit mir da ist.
Und es prüft, ob ich schon Situationen erlebt habe, in denen nach einem Atem im Nacken etwas gefährliches passiert ist. Da das nicht der Fall ist, stellt es die Hypothese auf, dass nichts Gefährliches passieren wird. Auf diese Hypothese reagiere ich mit emotionalem Frieden und schlafe ein.
Wenn mir genau der gleiche Reiz auf einer Bärenjagd passiert, ein heißer Atem in meinem Nacken, wäre das anders. Den Kontext Bärenjagd ins Kalkül ziehend würde mein Gehirn die Hypothese aufstellen, dass der Bär hinter mir steht und gleich zubeißt. Auf diese Hypothese wiederum reagiert mein Körper mit einer deutlich anderen Reaktion als emotionalem Frieden.
Das Gleiche würde auch im Kontext der Bett-Situation passieren, wenn ich schon einmal nach einem warmen Atem in Nacken von einem Bär gebissen worden wäre.
Der springende Punkt ist: Wir reagieren emotional nicht auf den Reiz, sondern auf eine Hypothese darüber, was dieser Reiz bedeutet. Darauf, wovon unser Gehirn annimmt, dass es gleich passieren wird. Nicht darauf, was tatsächlich jetzt passiert.
Ein absoluter Großteil unseres emotionalen Erlebens basiert also auf Annahmen in Bezug auf die Zukunft. Das scheint der aktuelle Stand der Forschung zu sein. Achtsamkeit und achtsam sein bedeutet für mich, dieses Muster zu durchbrechen. Achtsam sein bedeutet, mit all meinen Sinnen so tief und kontinuierlich in Kontakt mit der jetzt gerade aktuell wahrnehmbaren Wirklichkeit (im Außen und im Innen) zu sein, dass das Gehirn damit so beschäftigt ist, dass es keine Möglichkeit mehr hat, Hypothesen aufzustellen.
Du kannst also lernen, Dein Gehirn kann lernen, keine Hypothesen mehr aufzustellen. Und emotional auf die physische Realität – und nicht auf die Hypothese – zu reagieren.
Dieser Schritt ist für mich das “Achtsame erwachen in die Welt der Formen”. Ein nächster Schritt ist, ein Bewusstsein dafür zu erlangen, dass es auch noch eine Welt hinter den Formen gibt. Wenn Du noch nicht wissen solltest, was Formen sind … ich benutze dieses Wort im Sinne von Eckhart Tolle.
p.s. Und natürlich ist die Hypothese, dass mich der Bär gleich beißt, auf einer Bärenjagd hilfreich. Und ich freue mich, wenn mein Gehirn diese Hypothese in diesem Fall aufstellt.
p.p.s. Und ja, das ist genau das gleiche, was Eckhart Tolle sagt und lehrt.
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